Interview von Dr. Steffen Jakobs
Es ist einer der tückischsten Schmerzen: Der Kopfschmerz. Er kommt plötzlich und nimmt im schlimmsten Fall den Betroffenen komplett aus dem Spiel. Dreiviertel aller Menschen leiden entweder sporadisch oder chronisch an Kopfschmerzen. Die Wissenschaft kennt über 300 verschiedene Arten von Kopfschmerz. Zum Weltkopfschmerztag am 5. September geben Dr. Markus Sofianos und Dr. Stefan Lauer-Riffard (beide von der Paracelsus-Klinik Osnabrück) Tipps, wie man Kopfschmerz am besten in den Griff bekommt.
1. Wie äußert sich Kopfschmerz bei Migräne und welche Folgen hat dies für die Patienten?
Dr. Sofianos: Bei Migräne ist der Kopfschmerz sehr stark ausgeprägt und hält zwischen vier und zweiundsiebzig Stunden an. Als Begleitsymptomatik treten bei Migräne Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Wärmeempfindlichkeit, Lichtscheu und Überempfindlichkeit gegenüber Gerüchen auf.
Dr. Lauer-Riffard: Bei Migränepatienten führt körperliche Aktivität zu einer Zunahme der Kopfschmerzen. Somit sind Migränepatienten während der Attacken häufig ans Bett gefesselt und oft nicht mehr richtig handlungsfähig. Der Alltag kommt zum Erliegen. Die Betroffenen leiden deshalb oft unter der Angst, wieder eine Kopfschmerzattacke zu erleiden. Das führt dazu, dass diese Patienten versuchen in den kopfschmerzfreien Phasen „die verlorene Zeit“ aufzuholen mit der Folge, dass sie sich nicht mehr ausreichend schonen
und keine Ruhephasen einhalten.
2. Wie unterscheidet sich davon der Spannungskopfschmerz?
Dr. Sofianos: Der Spannungskopfschmerz ist ein leichter bis mittlerer Schmerz, der auf beiden Kopfhälften auftritt und sich bei körperlichen Aktivitäten nicht verstärkt. Beim ihm klagen die Betroffenen meist nicht über Symptome wie Übelkeit oder Erbrechen. Außerdem gehen Spannungskopfschmerzen bei über der Hälfte der Patienten mit einer Depression einher, die dann zusätzlich behandelt werden muss.
Dr. med. Markus Sofianos ist Facharzt für Neurologie und Oberarzt in der Paracelsus-Klinik Osnabrück.
3. Wie werden Kopfschmerzpatienten behandelt, die zu Ihnen in die Klinik kommen und wie können sich Patienten selber helfen?
Dr. Lauer-Riffard: Der überwiegende Teil der Patienten leidet unter Migräne- oder Spannungskopfschmerzen. Nur weniger als 10 % der Kopfschmerzen sind auf eine andere Kopfschmerzart zurückzuführen. Bei Migräne-Patienten wenden wir meist medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungen an.
Daneben ist häufig auch eine Verhaltenstherapie notwendig, damit die Patienten
in ihrem Alltag eine gleichbleibende Belastung und gleichmäßigen Rhythmus einführen. Wenn Spannungskopfschmerzen nur ab und an auftreten, können verschiedene Maßnahmen helfen: Zum Beispiel durch Kühlen des Kopfes mit einem Eisbeutel, durch Auftragen von Pfefferminzöl auf Schläfen und Stirn, durch einen Spaziergang an der frischen Luft oder durch die Einnahme eines Schmerzmittels. Dafür kommen z.B. Acetylsalicylsäure (wie Aspirin), Paracetamol oder sogenannte Kombinationsanalgetika, die beide Wirkstoffe und Koffein enthalten, in Frage.
Liegt ein chronischer Spannungskopfschmerz vor, tritt er also über mindestens drei Monate an mehr als 15 Tagen im Monat auf, haben sich Ausdauersport, Entspannungstechniken (z.B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen) sowie Stressbewältigungstrainings als sehr effektiv erwiesen.
Dies gilt übrigens auch für Migränepatienten. Für diese ist es sehr wichtig, sich regelmäßig zu entspannen, mehrmals die Woche Ausdauersport zu betreiben, eine ausgewogene Work-Life-Balance und einen regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus zu haben. Solche Maßnahmen helfen dabei, einen Migräneanfall zu vermeiden oder die Migränehäufigkeit zu reduzieren.
Dr. med. Stefan Lauer-Riffard ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und Chefarzt am Interdisziplinären Schmerzzentrum Paracelsus-Klinik Osnabrück.
4. Woran können Patienten erkennen, welcher Kopfschmerztyp sie sind?
Dr. Sofianos: Da auch Mischformen von Kopfschmerzarten oder andere Symptome vorliegen können, die ein Patient selbst nicht einschätzen kann, empfehlen wir, sich zuerst an seinen Hausarzt zu wenden. In einigen Fällen ist es notwendig, sich von einem Neurologen oder Kopfschmerzexperten untersuchen zu lassen. Besonders dann, wenn Kopfschmerzen plötzlich auftreten und sehr heftig sind.
„Bei häufig auftretenden Kopfschmerzen sollten sie sofort zum Neurologen gehen. Dieser führt eine Diagnostik durch und leitet je nach Einzelfall eine nicht-medikamentöse und/oder medikamentöse Behandlung ein."
Dr. Markus Sofianos, Paracelsus-Klinik Osnabrück
5. Kann man auch zu viel Kopfschmerzmittel einnehmen?
Dr. Lauer-Riffard: Der sog. „Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz“ ist die wichtigste Komplikation von Spannungskopfschmerz und Migräne. Eine bewährte Faustregel ist, dass man an 20 Tagen im Monat keine Akutmedikamente für den Kopfschmerz einnehmen sollte.
Nimmt man an mehr als an 10 Tagen im Monat Medikamente gegen den akuten
Kopfschmerz ein, verändert sich die Empfindlichkeit im Nervensystem. Dadurch
können Kopfschmerzattacken immer häufiger auftreten, diese werden dann wiederum häufig mit noch mehr Schmerzmitteln bekämpft. Ein Teufelskreis entsteht und es kann letztendlich zu einem Dauerkopfschmerz kommen. Oberstes Behandlungsziel ist in einem solchen Fall zunächst mit der Einnahme von Schmerzmitteln zu pausieren.
6. Wie kann man sich eine solche Medikamentenpause vorstellen?
Dr. Sofianos: Zunächst sollte darüber mit einem Arzt gesprochen werden, der sich mit Kopfschmerzen auskennt. Nicht für jeden Patienten ist eine Medikamentenpause im ambulanten Bereich machbar. In so einem Fall ist ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik, die sich mit der Behandlung von Kopfschmerzen bei Arzneimittel-Übergebrauch auskennt, zu empfehlen. Dabei wird auch der Einsatz von medikamentöser Prophylaxe (vorbeugende Behandlung von Kopfschmerzen mit Arzneimitteln) sowie nicht-medikamentösen Maßnahmen geprüft. Letztendlich ist es das Ziel, die Kopfschmerzfrequenz und -intensität deutlich zu reduzieren. Ist ein Patient sich nicht sicher, ob er zu viele Medikamente einnimmt, raten wir einen Kopfschmerzkalender zu führen. In diesem werden die Kopfschmerzhäufigkeit
und die eingenommenen Medikamente notiert. Dies hilft auch den Erfolg einer
Behandlung zu beurteilen.
„Bei Kopfschmerz wird es dann problematisch, wenn Spannungskopfschmerzen oder Migräneerscheinungen
so aus dem Ruder laufen, dass die Patienten im Alltag
nicht mehr damit umgehen können.“
Dr. Stefan Lauer-Riffard, Paracelsus-Klinik Osnabrück
7. Können Migräne-Patienten, die von häufigen Attacken geplagt sind, zukünftig auf Hilfe hoffen?
Dr. Sofianos: Im Bereich der Behandlung häufiger Migräneattacken stehen neu entwickelte Medikamente zur Verfügung, die erst seit kurzem in Deutschland erhältlich sind. Da sie noch sehr teuer sind, sind sie den Fällen vorbehalten, die durch andere Medikamente nicht in den Griff zu bekommen sind.
8. Man hört immer wieder von multimodalen Kopfschmerztherapien. Helfen diese wirklich? Und wie viel Zeit muss darin investiert werden?
Dr. Lauer-Riffard: Die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie ist ein teilstationäres Programm, das für chronische Schmerzsyndrome, insbesondere für dauerhafte Rückenschmerzen, entwickelt wurde.
Auch für chronische Spannungskopfschmerz- und Migränepatienten, insbesondere bei Medikamenten-induzierten Kopfschmerz hat sich dieses Programm bewährt. Das meist zwei- bis dreiwöchige Programm vermittelt zum Beispiel Fähigkeiten im Bereich der Stressbewältigung, des Ausdauertrainings, der Physiotherapie und der Psychoeduktion (Vermittlung von Wissen über zumeist psychische Krankheiten). Hierfür stehen im Idealfall eine Vielzahl an Therapeuten wie Psychologen, Physiotherapeuten, Schmerzmediziner, Pain Nurses, Yogalehrer oder Kunst- und Musiktherapeuten zur Verfügung.
Das Interview entstand mit der freundlichen Unterstützung von see4c.